UPCYCLING

Ein super Bericht über Upcycling von Angelika Arians-Derix in der Ausgabe 02/2013 des Szene Gastro Magazins FIZZZ

SCHREDDERN UND EINSCHMELZEN WAR GESTERN. HEUTE HOLEN SICH DIE DESIGNER AUS MÜLLTONNEN, VOM SPERRMÜLL UND VON SCHROTTPLÄTZEN ALLES MÖGLICHE UND GESTALTEN ES MIT VIEL KREATIVITÄT ZU MÖBELN; KLEIDUNG UND ACCESSOIRES UM.

UPCYCLING – heisst der Design-Trend der Stunde!

[dropcap1]D[/dropcap1]as coole Mac-Sleeve fuhr füher als LKW-Plane durch Europa, das hippe Brillengestell war zuvor ein Skateboard. Die auffällige Tischplatte diente einst Bauarbeitern als Gerüstplanke, die schicke Hängelampe stannd vor kurzem noch als gefüllte Weinflasche auf einem Restauranttisch, ihr Korken wiederum hat gemeinsam mit vielen seiner Artgenossen ein zweites Leben als bequemer Sessel gefunden. Wer sich heutzutage auf Mode-. Möbel- und Ambiente-Messen, in angesagten Läden großstädtischer Szene-Stadtteile und in den Webportalen für Design oder “grünen” bzw. nachhaltigen Produkten tummelt, wird feststellen;

Recycling ist zum Gähnen. Upcycling dagegen ganz offenbar sexy.

1 Lampe aus leeren Weinflaschen von illustris+,  2 Bank aus Ölfassblech von Ko-j, 3 Schubladen aus leeren Weinkisten von Grand Cube, 4 Lampe aus ausrangierten PC Teilen von andercover

1 Lampe aus leeren Weinflaschen von illustris+, 2 Bank aus Ölfassblech von Ko-j, 3 Schubladen aus leeren Weinkisten von Grand Cube, 4 Lampe aus ausrangierten PC Teilen von andercover

An Upcycling kommt man nicht mehr vorbei!

[dropcap1]N[/dropcap1]ach Vintage und Shabby Chic stellen sich Trendbewusste nun Sperrmüll, äussortierte Baumaterialien und Schrott in die Wohnung, tragen Designer-Klamotten und Taschen, deren Materialien aus der Altkleider- und Wertstoffsammlung stammen, alles stilvoll aufgewertet versteht sich. Wegwerfen ist out.

Upcycling ist quasi der Gegenentwurf zum Recycling. Beim Recycling wird Müll wie Flaschen, Dosen, Altpapier, Kunststoff und vieles mehr in seine Bestandteile zerlegt, um so die Rohstoffe neu zu verwerten. Beim Upcycling hingegen nutzt man das, was als Ge- und Verbrauchtes oder als Produktionsrest üblicherweise auf dem Müll landet, und gestaltet dies mit viel Kreativität und in Handarbeit um. Man gibt sozusagen Dingen ein neues Leben, dessen Ende längst beschlossen war.

Beim Upcycling entstehen Produkte, die viele angesagte Design-Kriterien erfüllen: Sie sind ästhetisch, innovativ, ideenreich, gut verarbeitet, aufregend, individuell und haben eine erzählbare Geschichte. Zudem zeugen sie von Ressourcen-Wertschätzung und erfüllen somit wichtige Nachhaltigkeitskriterien. Wertige Materialien werden vor der Vernichtung bewahrt und Ausgesondertes wieder in den Alltag integriert. Die Folge: es fällt weniger Müll an.

 

REPURPOSING – wie alles begann

[dropcap1]I[/dropcap1]m Grunde ist Upcycling ein alter Hut. In den ärmeren Ländern dieses Globus gehört “repurposing” längst zum Alltag. So bessern beispielsweise nicht wenige Kubaner ihr spärliches Einkommen auf, indem sie leere Cola-Dosen in “Fotoapparate” verwandeln, die als Souvenirs an Touristen verkauft werden. In Südafrika bildet bereits seit vielen Jahren eine große Anzahl von Repurposing-Betrieben (in der Regel mit sozialem Hintergrund) einen eigenen kleinen Wirtschaftszweig. So stellen unter anderem Handcraft-Initiativen von Township-Frauen ausgefallene Taschen aus kaputten Autoreifen und KFZ-Kennzeichen oder alten Schallplatten her oder gestalten kleine Tiere aus Getränkedosen. Auch in anderen afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Ländern wird Repurposing seit langem betrieben.

9 Garderobe aus alten Flaschen von Sybille Homann, 10 Sessel "Sushi" aus Filz- und Stoffstreifen

9 Garderobe aus alten Flaschen von Sybille Homann, 10 Sessel “Sushi” aus Filz- und Stoffstreifen

Genau genommen wird auch in der internationalen Designszene schon seit Jahren Upcycling betrieben. Das brasilianische Künslerduo Umberto und Fernando Zampano schufen bereits 1991 den inzwischen weltberühmten “Favela Chair“, den sie aus Holzstücken aus den Slums von Sao Paulo zusammensetzen (Bild 6). Auch für ihre anderen Design-Kunstwerke ließen sie sich auf der Straße inspirieren. Dort nämlich sammeln sie die Materialien auf, aus denen sie Möbel, Lichtobjekte und Skulpturen kreieren. Ein weiteres bekanntes Objekt: der Filz und Stoffstreifen gepolsterte Sessel Sushi (10).

Auch ein weiterer Star aus der Designerszene, die Niederländer Piet Hein Eek, gehört zu den Upcyclern der ersten Stunde. Eek entwarf in den neunziger Jahren eine ganze Reihe von Schränken aus Abfallholz (12) und finanzierte so nach dem Studium sein eigenes Studio, das er 1992 in Geldorp nahe Eindhoven eröffnete und das inzwischen zu einer großen Produktionsfirma für Upcycling-Produkte herangewachsen ist. Bis heute nutzt er Abfallholz und Altmetalle, um Objekte, Möbel, Lampenserien, Büroeinrichtungen und komplette Innenausstattungen zu designen und zeigt seine Objekte in Museen weltweit. In Berlin hat er im letzten Jahr einen Showroom eröffnet. Eeks Philosophie lautet: Abfall sollte wie Gold behandelt werden. “Holz ist ein wertvoller Rohstoff, der zunehmend knapper wird, den man sich irgendwann nicht mehr leisten kann. Aus einem einzigen Baum kann man wenig machen oder auch viel. Mein Ziel ist es gute, schöne und praktikable Objekte zu machen, die nachhaltig und gleichzeitig ästhetisch sind. Und ich mag es, dass unser verwendetes Holz schon ein Leben zuvor hatte”, so Eek in einem niederländischen TV-Portrait.

5 Bilderrahmen aus Schiffsplanken und alten Fenstern von Luna Designs, 6 Favela Chair der Campana Brüder, 7 Sitzmöbel aus Kaffeesäcken von Kwilt Factory, 8 Inneneinrichtung aus altem Bauholz von Piet Hein Eek

5 Bilderrahmen aus Schiffsplanken und alten Fenstern von Luna Designs, 6 Favela Chair der Campana Brüder, 7 Sitzmöbel aus Kaffeesäcken von Kwilt Factory, 8 Inneneinrichtung aus altem Bauholz von Piet Hein Eek

Gesellschaftsfähig wurde Upcycling freilich zunächst im Bereich der Modeaccessoires. Durch die Zürcher Grafikdesigner Markus und Daniel Freitag nämlich. Sie ließen sich vom Schwerverkehr, der täglich an ihrer Wohnung vorbeirauschte, inspirieren und entwickelten 1993 eine Messenger Bag aus alten LKW-Planen, ausgedieneten Fahrradschläuchen und Autogurten. Ihre Idee schlug ein. Inzwischen produzieren die beiden Brüder rund 300.000 Taschen und ähnliche Accessoires im Jahr, die weltweit in neun eigenen Stores und durch 400 Vertriebspartner verkauft werden.

13 Inneneinrichtung aus altem Bauholz von Piet Hein Eek, 14 Sitzskulptur "Enormous" aus altem Holz

13 Inneneinrichtung aus altem Bauholz von Piet Hein Eek, 14 Sitzskulptur “Enormous” aus altem Holz

Den Einzug in die welt der Luxus-Labels fand Upcycling durch das französische Couture-Haus Hermès. Hier wird seit 2009 Produktionsabfall wie Lederreste, die beim Zuschnitt anfallen, oder Ausschuss-Ware im hauseigenen Kreativlabor “Petit h” zu Dekorationsartikeln verarbeitet. So enstehen kleine Pop-Art-Skulpturen, ausgefallene Koffer oder witzige Kommoden. Hermès nennt diese Wiedergeburten “UPO’s” Unbekannte Poetische Objekte.

 

Upcycling hierzulande

[dropcap1]D[/dropcap1]ie Beispiele dokumentieren, dass Upcycling bei Kreativen in der ganzen Welt schon seit geraumer Zeit einen hohen Stellenwert hat. Nun ist das Thema auch hierzulande angekommen. Noch sind es vor allem Einzelkämpfer und Mini-Produzenten, die sich mit Upcycling beschäftigen. Die beiden Kölner Designer Rike Staar und Manfred Weichert, die sich unter dem Label “andercover” zusammengetan haben, gehören dazu. Sie upcyceln Altmöbel, Reste von Schreinern und Messebauern sowie ausrangierte Alltagsgegenstände zu ausgefallenen ungewöhnlichen Möbeln und Wohnaccessoires. So wird aus ausgedienten PC-Mäusen und Tastaturtasten eine witzige Lampenskulptur (4), aus unzähligen Streifen von Multiplexplattenresten wiederum der Stuhl “Eckbärt”.

Zur Szene gehören auch Annekathrin und Frank Metzler, die in Düsseldorf den Laden PLUP (Planet Upcycling) betreiben. “Wir sind süchtig. Nach Upcycling. Wir wollen es allen zeigen, welche schönen und hochwertigen Produkte aus scheinbar Wertlosem entstehen können”, so die Metzlers. PLUP bietet als Plattform und als moderner Concept Store eine breite Vielfalt an Dienstleistungen rund um das Thema Upcycling. Wir verkaufen, wir entwerfen, wir vermitteln. Immer mit dem Ziel, ausgemusterte Materialien in Form von neuen Produkten wieder dem Verbrauchskreislauf zuzuführen.”

 

2013_Fizzz_Upcycling_fuer_die_Gastronomie

Das Upcycling sich hierzulande zu einem ernstzunehmeneden Trend entwickelt, zeigt eine im September 2012 durchgeführte Online-Umfrage. Sie ergab, dass der Begriff “Upcycling” bereits bei 47,5 Prozent der Befragten bekannt ist und mit dem Schutz der Umwelt sowie als eine Antwort auf den Umgang mit knappen Ressourcen verstanden wird. 78,4 Prozent aller Befragten sehen in Upcycling einen Trend (Quelle: nobrands.de).

 

Gastro-taugliches Upcycling

[dropcap1]E[/dropcap1]s versteht sich von selbst, dass die vielen Upcycling-Produkte als Unikate oder in Kleinserien produziert werden. Sie eigenen sich in der Gastronomie als Eyecatcher und/oder als Statement, um die eigene nachhaltige Firmenphilosophie zu dokumentieren. Es gibt bereits Designer, die Upcyling für die Gastronomie umsetzen. So hat Piet Hein Eek für das neue “Oosten” in Frankfurt das Interieur mit Bars und verschiedenen, stilprägenden Möbelobjekte wie die außergewöhnliche, multifunktionale Sitzskulptur “Enormous” designt (8+14).

Auch die Firma “Bauholz design” ist für die Gastronomie interessant. Das Unternehmen aus Münster hat sich af individuelle Laden-, Wohn- und Objekteinrichtunegn spezialisiert und verwendet dafür robuste Holzbohlen von alten Baugerüsten (13). “Das Holz liegt beim Gerüstbauer in Deutschland einfach herum, wir sammeln es ein und verwerten es weiter”, so Vertriebsleiter Markus Grossmann. Das weitgehend reduzierte Design stammt vom hauseigenen Designer-Team oder in Zusammenarbeit mit internationalen Designern. So enstehen Möbel und Einrichtungskomponenten, die quasi Unikate sind. “Kein Produkt gleicht dem anderen, jede Bohle fällt in Farbe und Gebrauchsspuren anders aus.” Das außergewöhnliche Material und die puristische Design-Sprache von “Bauholz design” kommen bestens an. Das Unternehmen stattete in den letzten Jahren die “Arena One Lounge”, die VIP-Lounge in der Münchner Allianz-Arena, und weitere 150 Objekte aus Gastronomie und Einzelhandel aus. Die Produkte können übrigens auch individuell gebrandet werden.

Quelle: Magazin “FIZZZ – Für die Szene Gastronomie”, Printausgabe 02/2013, Herausgeber: Meininger Verlag GmbH